Energieaußenpolitik: Zwischen Realismus und Idealismus

Energiepolitik eng mit Außenpolitik verknüpft. Das gilt insbesondere in einem hochindustriellen Land wie Deutschland, das seinen Bedarf nach Strom, Wärme und Kraftstoffen nicht eigenständig deckt. Und demzufolge abhängig ist Deutschland von Energieimporten aus anderen, teils autokratischen und illiberalen Staaten.

Putins schändlicher und völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine führt uns besonders drastisch vor Augen, dass nicht allein der Klimawandel ein Umdenken in der Energiepolitik erfordert. Auch die auswärtigen Beziehungen, insbesondere der Angriff auf die Ukraine, verlangen von uns ein neues Denken ab, um die Wirtschaft und private Haushalte mit Energie zu versorgen.

Die außenpolitische Maxime „Wandel durch Handel“ ist überambitioniert. Liberalismus, Demokratie und Menschenrechte lassen sich in autoritären Regimen kaum durchsetzen, indem man wirtschaftliche Beziehung mit ihnen eingeht, im Zweifel stützen sie diese sogar. Die Olympischen Spiele in Russland sind dafür das anschaulichste Beispiel. „Wandel durch Handel“ funktioniert insbesondere dann nicht, wenn die Interdependenzen ungleich verteilt sind. Fraglos ist auch Russland von den Einnahmen aus der Erdgasförderung abhängig. Die Infrastrukturen zum Gastransport lassen sich nicht ohne Weiteres umlenken. Dennoch ist die Energieversorgung ein neuralgischer Punkt für unsere Wirtschaft und für private Verbraucherinnen und Verbraucher.

Schritte aus der Unabhängigkeit
Was also tun? Zweifellos müssen wir unabhängig von den russischen Gaslieferungen sein. Das muss unser klares Ziel werden und das sind wir den Menschen in der Ukraine moralisch schuldig, die wir überdies vor allem wirtschaftlich und humanitär unterstützen müssen. Der Weg zur Unabhängigkeit wird nur Schritt für Schritt funktionieren, denn ein sofortiger Verzicht auf die Gaslieferung aus Russland zöge gravierende soziale Konsequenzen nach sich. Die Gaspreise explodieren bereits jetzt und werden weitere Entlastungen gerade für kleine und mittlere Einkommen, Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Hilfebedürftige nötig machen. Kurzfristig müssen wir die Realitäten anerkennen, denn auch wir sollten den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, um selbst in der Lage zu sein, der Ukraine unter die Arme zu greifen.

Kurzfristig werden wird Deutschland auf Energieimporte angewiesen sein, insbesondere im Wärmebereich. Hier ist Diversifizierung das Gebot der Stunde. Mehr als die Hälfte der Gasimporte aus einem autokratisch geführten Staat wie Russland zu beziehen, muss der Vergangenheit angehören. Wir müssen die Energieimporte, soweit nötig, auf unterschiedliche Staaten verteilen. Demokratische und liberale Exportländer haben sollten dabei Vorrang erhalten, soweit möglich. Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ampelkoalition suchen geeignete Partner, unter anderem in Kanada, das reich an Erdgasvorkommen ist. Der Bau von LNG-Terminals in Deutschland, um Flüssiggas selbst importieren zu können, ist dabei entscheidend. Von daher ist es richtig, das LNG-Projekt in Brunsbüttel endlich umzusetzen. Dabei sollte das LNG-Terminal auch auf die Speicherung von Wasserstoff ausgelegt sein.
Übrigens: Selbstverständlich können wir alle selbst etwas tun, um die Energieabhängigkeit zu mindern. Alle Energieeinsparungen helfen, um über den kommenden Winter zu kommen und die Abhängigkeit zu reduzieren. Das ist ein Stück weit eine Privilegiertendiskussion. Nicht alle Menschen haben hierzulande die Möglichkeit, zu sparen. Aber wer Potentiale sieht, soll diese gerne nutzen.

Vorfahrt für erneuerbare Energien
Mittel- und langfristig müssen wir Ideale und Realismus vereinen, indem wir mehr Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien machen. Investitionen in alte Technologien wie Atomkraft helfen an dieser Stelle nicht weiter. Das Geld können wir besser einsetzen. Neue Energien sind der klügste Weg zur Energieunabhängigkeit. Sie geben uns in den auswärtigen Beziehungen eine stärkere Position. Das funktioniert allerdings nur, wenn Bund und Länder ihre Aufgaben erledigen. Überhöhte Abstandsversprechen zu Windkraftanlagen wie in Bayern oder Nordrhein-Westfalen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien bremsen, müssen der Vergangenheit angehören. Von daher ist es richtig, dass die Ampelkoalition mit neuen Beschlüssen einen Riegel vor eine solche „Verhinderungsplanung“ schiebt und gesetzlich darauf dringt, dass die Länder mindestens zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft zu nutzen. Übrigens: Leider herrschte beim Windkraftausbau in Schleswig-Holstein durch die Abstandsversprechen des Ministerpräsident Günther Flaute. Und das im Land zwischen den Meeren…
Und: Wir dürfen die Menschen in ihren Häusern und Wohnungen mit der Umstellung auf Erneuerbare Energien nicht allein lassen. Deshalb wird eine gezielte Förderung von Solardächern und Wärmepumpen nötig sein. Nicht nur fordern, sondern auch fördern.

Einfluss auf Autokratien hinterfragen
Dass wir unseren internationalen Einfluss auf Autokratien und illiberale Gesellschaften nicht überschätzen dürfen, hat sich in drastischer Weise auch beim missglückten Abzug aus Afghanistan gezeigt, wo die Taliban innerhalb kürzester Zeit die Macht übernommen haben. Die Bilder von verzweifelt fliehenden Menschen am Flughafen von Kabul bleiben in unseren Köpfen verankert. Als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum Abzug aus Afghanistan ist es meine Aufgabe, ohne Vorfestlegung der Frage nachzugehen, woran ein geordneter Abzug gescheitert ist und ob die bürokratischen Grenzen für humanitäre Hilfe zu hoch waren. Auch wenn vor Ort gute Arbeit geleistet und vieles erreicht wurde, was bleibt (z.B. für die Bildung von Mädchen): Wir müssen uns am Ende auch darüber klar werden, wie groß unser Einfluss auf die Autokratien und Stammesgesellschaften am Ende sein kann. Auch hier ist ein gesundes Verhältnis von Realismus und demokratischen Idealen nötig.

Ralf Stegner